... oder wie ich lernte den Zündversteller zu lieben

Motor-Vergaser-Antrieb
GvO
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... oder wie ich lernte den Zündversteller zu lieben

Beitrag von GvO »

Hallo,
fast jeder hat mal am Zündversteller gezweifelt oder Probleme gehabt. Man schaut ihn an, spielt an den Gewichten und gibt ihn nach dieser ausgiebigen Qualitätsprüfung zum Einbau frei - nur um sich danach schwarz zu ärgern über die sinnlos investierten Stunden.
Also die Stunden sinnvoll investieren, außerdem hätte ich ganz gerne die tatsächliche Kennlinie der Zündung.
Ich hatte eine Kurve gefunden, allerdings war diese sehr simpel. Das sollte eine Hysterese sein ...

Also bauen wir "schnell" einen Prüfstand mit dem 3D Drucker und einigen kleinen Prozessoren.
Einer steuert einen bürstenlosen Motor und fährt den Drehzahlbereich ab,
Der andere misst mit zwei Hall Sensoren die Umdrehungen, bzw. durch den Versatz zum Zeiger den verstellten Winkel. Dazu aktiviert er als Stroboskop eine Power LED. Die Winkel werden dann an den Computer ausgegeben.
IMG20230124155728 - Kopie.jpg
Der maximale Verstellbereich wurde nachher zum Abgleich der Ergebnisse gemessen:
IMG20230124105523 - Kopie.jpg
Der Motor dreht einmal hoch und wieder runter. Aus etwas über 500 Messpunkten erhält man diese schöne Kurve, die gelben Punkte waren die gefundene Referenz:
Kennlinie Alt.png
Das ganze mit neuen Federn vom Club:
Kennlinie Neue Federn.png
Und noch mal zerlegt und geölt. Die Kurve ist "sauberer", weniger Schwingungen. Ansonsten kaum ein Unterschied,
Kennlinie Neue Federn geölt.png
GvO
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Re: ... oder wie ich lernte den Zündversteller zu lieben

Beitrag von GvO »

Wer genau geschaut hat, wird feststellen das der Verstellbereich plötzlich deutlich größer wurde mit 24,5° statt 22° vorher.
Zur Kontrolle noch mal die alten Federn rein. Allerdings war das ganze jetzt geölt:
Kennlinie Alt Kontrolle geölt.png
Kennlinie Alt Kontrolle geölt.png (11.61 KiB) 460 mal betrachtet
Der maximale Ausschlag stimmt überein. Durch den Wechsel der Federn hat sich wohl Dreck gelöst, dadurch kann es weiter verstellen.
Die rechte Seite der Hysterese entsteht vom hoch drehen, die linke Seite wird beim runter drehen erzeugt.

Ich habe noch einige Teile hier, auch von SIBA, die ich auch mal überprüfen werde.

Guido
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Peter Frey
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Re: ... oder wie ich lernte den Zündversteller zu lieben

Beitrag von Peter Frey »

Lieber Guido,

Ein sehr schöner Beitrag.
Mal schnell einen Halter aus dem 3D Drucker gezaubert
und mal eben 500 Messpunkte aufgezeichnet.
Hut ab.....

Lieben Gruß
Peter
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GvO
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Re: ... oder wie ich lernte den Zündversteller zu lieben

Beitrag von GvO »

Hier noch die Ergebnisse eines richtig gammeligen Verstellers.
IMG20230124170720 - Kopie.jpg
Hätte ich vom optischen her sicher in die Tonne geschmissen, aber von der Kurve erstaunlich gut. Am Anfang ein kleiner Einbruch in der Kurve, da hat sich der Rost beim ersten Laufen nach Jahren vielleicht gelöst.
Kennlinie Teil 2 Alt.png
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Erdgeschoss
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Re: ... oder wie ich lernte den Zündversteller zu lieben

Beitrag von Erdgeschoss »

Tolle Ergebnisse, super Prüfstand.

Ultimativ interessant wären jetzt Drehmomentkurven vom Motor mit den Verstellern. Dann könnte man eine Verstellkurve entwickeln, die optimal ist.
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GvO
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Re: ... oder wie ich lernte den Zündversteller zu lieben

Beitrag von GvO »

So in der Art war das eigentliche Ziel.
Das reine ersetzten des Unterbrechers bringt nur etwas Vereinfachung bei der Einstellung und der Kondensator fällt weg.
Auch den Zündversteller ersetzen, also eine Kennlinie zu hinterlegen, würde etwas Spielraum für mehr Leistung bringen.
Allerdings müsste man recht konservativ vorgehen, damit man nicht ins "klopfen" kommt. Also recht ähnlich zum alten Konzept.
Wenn wir noch die tatsächliche Last mit einem Luftmassenmesser berücksichtigen und mit einen Klopfsensor die Kennlinie variabel halten, könnte man nahe an den optimalen Zündzeitpunkt kommen.
=> Mehr Leistung, weniger Verbrauch

Aber das ist etwas für ein späteres Projekt, Guido
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Erdgeschoss
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Re: ... oder wie ich lernte den Zündversteller zu lieben

Beitrag von Erdgeschoss »

GvO hat geschrieben: 24.01.2023, 18:55 ... Luftmassenmesser ...
LMM ist meiner Erfahrung nach nicht notwendig, Klopfsensor nur bei stark wechselnden Bedingungen. Selbst sämtliche unserer nachgerüsteten Einspritzungen laufen mit reinen Kennfeldern mit Daten aus Drehzahl, Drosselklappenstellung und Unterdruck perfekt. Wir verwenden bei Zweirädern nicht mal mehr eine closed loop Lambdasteuerung, ist viel einfacher nach α-n und nicht störanfällig.

Eine erprobte Zündkennlinie (und selbst die originale) durch solide elektronische Zündung bringt schon allein viel, weil sie immer genau stimmt. Wie viel Unwägbarkeit jeder bei seinem laufenden und funktionierenden (!) Motor mit der Abreißzündung hat, zeigt Deine Reihe ja eindrucksvoll.

Wenn ich es finde, poste ich Vergleichsmessungen vom Motorprüfstand, selber Motor, nur erst Abreißzündung und danach elektronisch. Selber ZZP, beide dieselbe Kurve (theoretisch). Drehmoment ist bei Vollast im niederen und mittleren Drehmomentbereich um 10-15% gestiegen.
Zuletzt geändert von Erdgeschoss am 25.01.2023, 00:09, insgesamt 1-mal geändert.
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GvO
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Re: ... oder wie ich lernte den Zündversteller zu lieben

Beitrag von GvO »

Eigentlich hast du Recht, warum immer gleich so kompliziert.
Wenn man die Kurven betrachtet, hat man teilweise 10° Differenz bei gleicher Drehzahl.
Alleine die Hysterese zeigt 5° bei gleicher Drehzahl.
Das sind Welten!
GerhardM
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Re: ... oder wie ich lernte den Zündversteller zu lieben

Beitrag von GerhardM »

... "der Spur nach" habe ich die Beiträge verstanden.
Folgende Überlegungen:
Mit der Zeit und je nach Beanspruchung ermüden die Federn des Zündverstellers. Das bewirkt, dass die Fliehgewichte - vor allem im mittleren Drehzahllbereich - früher/weiter nach außen "wandern" und eine fühere Zündung bewirken als bei neuen Federn. Wenn das Gemisch nicht optimal (also zu früh) zündet, bedeutet das einen Leistungsverlust und höheren Spritverbrauch.
Fragen:
Sind diese Überlegungen richtig?
Sind die Auswirkungen stärker oder eher gering?
Gibt es dazu eine Wartungsempfehlung?
Ab welcher Kilometerleistung bzw. nach welcher Zeit ist ggf. der Wechsel der Federn des Zündverstellers notwendig/empfehlenswert?
Danke und viele Grüße
Gerhard
GvO
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Re: ... oder wie ich lernte den Zündversteller zu lieben

Beitrag von GvO »

Darüber habe ich mir auch einige Gedanken gemacht, nachdem ich die Ergebnisse hatte.
Bei der Abstimmung stellen wir die Zündung auf FP 31,5° ein. Wenn wir uns das Bild anschauen, verschieben wir also die Hysterese nach links oder rechts bis wir an dem Schnittpunkt 3400 U/min mit 21,5° liegen. Um 10° ist das ganze von Grund auf verdreht => SP 10°. Spezialisten erweitern dann die Löcher bis man es weit genug verdrehen kann. So einen Versteller würde ich dann mal gerne testen.
Bei Vollgas werden wir also keine Änderung merken. Im mittleren Bereich werden wir mit neuen Federn neben der ursprünglichen Kurve liegen.

Wenn wir aber den Einfluss von Luft-, Motortemperatur und Last auf die "perfekte" Kennlinie berücksichtigen, sind wir sicher 10° vom Optimum entfernt. Das ist schon der halbe Verstellbereich und damit fallen ein paar Prozent ausgeleierte Federn auch nicht ins Gewicht.
Wenn man in den Tools zur Berechnung eines Kennfeldes alleine Normal durch Super ersetzt verändert sich der Winkel um 1°.
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